Eigentlich sollten Ende Juli 80 Prozent aller Apotheken fit sein für das E-Rezept. Doch von einer alltagstauglichen Lösung kann auch jetzt noch keine Rede sein. Die eGK-Stecklösung, mit der E-Rezepte über die elektronische Gesundheitskarte des Versicherten abgerufen werden können, soll nun neben App und Token die Trias der Einlösemöglichkeiten vervollständigen. Ob diese Option für Hilfsmittelleistungserbringer praxistauglich ist, muss jedoch hinterfragt werden.
Das E-Rezept ist endlich alltagstauglich". Dieser Meinung ist zumindest Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Mitte Juni sagte er: „Bis Ende Juli werden voraussichtlich schon 80 Prozent der Apotheken an das System angeschlossen sein." Gemeint ist damit lediglich der Anschluss und die Verfügbarkeit der neuen eGK-Stecklösung, mit der E-Rezepte über die elektronische Gesundheitskarte des Versicherten in der Apotheke abgerufen werden sollen. Laut Lauterbach geht es jetzt also los mit der Digitalisierung. Dass die Apotheken aber schon seit September letzten Jahres technisch dazu in der Lage sind, E-Rezepte anzunehmen, nämlich per App oder ausgedrucktem Token, erwähnte er nicht.
Gamechanger oder nicht?
Auf dem 4. E-Rezept Summit von scanacs Ende Juni bezeichnete Moritz Eckert, Facharzt für Allgemeinmedizin, den neuen Einlöseweg als „Gamechanger". Die E-Rezept-App der Gematik sei häufig nicht verfügbar, da Patienten oft keine PIN von ihren Krankenkassen erhielten. Auch Hannes Neumann, Produktmanager bei der gematik, war auf der Veranstaltung der Meinung, die eGK-Stecklösung könne bei der Einführung des E-Rezepts ein Schlüsselfaktor für eine höhere Akzeptanz werden. Nachdem die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL ) den Rollout des E-Rezepts in ihrer Region aufgrund des fehlenden „dritten Einlösewegs" Ende letzten Jahres ausgesetzt hatte, soll dieser nun wieder aufgenommen werden. Im April schätzte Jakob Scholz, der den Geschäftsbereich IT und Digital Health der KVWL stellvertretend leitet, die Wiederaufnahme des Rollouts und die flächendeckende Etablierung bis zur verpflichtenden Anwendung ab 2024 als Herausforderung ein. Im Interview mit der Ärztezeitung erklärte er, dass es zuerst einmal wichtig sei, Wissen darüber zu erlangen, ob die eGK-Stecklösung in Verbindung mit den Apotheken- und Praxisverwaltungssystemen funktioniere und der Prozess den Reifegrad habe, um den Praxen eine niedrigschwelligere Anwendung zu ermöglichen. Man könne keiner Praxis vermitteln, eine neue, digitale Technologie zum Einsatz zu bringen, die am Ende mehr Aufwand, mehr Zeit und mehr Kosten verursacht. Den bisherigen Prozess des E-Rezepts, also den Weg über die App oder den ausgedruckten Token, bezeichnete er als „sperrig".
Unkompliziertes Handling für Patienten
Die neue eGK-Stecklösung verspricht im Gegensatz dazu ein besonders unkompliziertes Handling des E-Rezepts für Patienten. Die gematik bezeichnet die Lösung als sicher, einfach und datenschutzkonform. Versicherte lassen ihre elektronische Gesundheitskarte in der Apotheke einlesen – ohne Eingabe einer PIN. Die Karte wird, genauso wie beim Arzt, in das Kartenterminal gesteckt. Die Apotheke kann somit alle noch einlösbaren Rezepte online einsehen, abrufen und die Medikamente ausgeben. Dies scheint auch ein praktikabler Weg, um z. B. Rezepte für Angehörige einzulösen. Auch Rezepte im Zuge einer Videosprechstunde oder Folgeverordnungen innerhalb eines Quartals können vom Arzt direkt für den Patienten hinterlegt werden. Die bisherigen Einlöseoptionen per App und Token bleiben weiterhin möglich. Scholz geht auch davon aus, dass gerade die Papierlösung, also der ausgedruckte Token, in Zukunft weiterhin als Alternative fortbestehen wird – auch hinsichtlich der Transparenz über die eigene Medikation.
Elektronische Gesundheitskarte ist ein logischer Schritt
Nachdem die elektronische Gesundheitskarte seit ihrer Einführung im Jahr 2004 nun fast zwei Jahrzehnte dazu diente, lediglich administrative Daten des Versicherten zu speichern, scheint die eGK-Stecklösung nun zum ersten Mal wie ein logischer Schritt bei der Etablierung der elektronischen Verordnung. Dies könnte auch eine Entlastung für die Apotheken bedeuten, die häufig an die Grenzen ihrer Kapazitäten geraten, wenn es darum geht, Patienten mit der Anwendung der E-Rezept-App vertraut zu machen. Daniela Hänel, Vorsitzende des Vereins Freie Apothekerschaft, gab beim E-Rezept Summit zu verstehen, sie helfe gerne, müsse an der Stelle jedoch Einnahmen einbüßen, und wünschte sich mehr Unterstützung seitens der gesetzlichen Krankenkassen. Die elektronische Gesundheitskarte in ein Kartenterminal zu stecken, sollte zumindest auf Patientenseite einen niedrigschwelligen Weg darstellen, der unabhängig von der Altersgruppe gut machbar ist. Nach der Erprobung der eGK-Stecklösung sieht Scholz die Aufgabe der KVWL darin, Aufklärungsarbeit zu leisten und mithilfe von Erfolgsgeschichten aus Praxen, Ärzte flächendeckend dazu zu bewegen, das E-Rezept zu nutzen.
eGK-Stecklösung ist erst der Anfang
Davon, dass das E-Rezept seit Juli „alltagstauglich" ist, kann also leider noch nicht die Rede sein. Bedenkt man, dass die eGK-Stecklösung laut Bundesgesundheitsministerium seit Juli „schrittweise eingeführt" wird und auch die Aussage der KVWL im Umkehrschluss bedeutet, dass noch gar nicht klar ist, wie ausgereift die neue Methode in Verbindung mit den Praxisverwaltungssystemen ist, dann befinden wir uns eher an dem Punkt, an dem es jetzt mit der Digitalisierung losgeht. Die Diskussion darüber, welche Mehrwerte das E-Rezept in Verbindung mit unterschiedlichsten anderen digitalen Anwendungen, am besten auf internationaler Ebene noch bieten sollte, läuft währenddessen weiter. Natürlich besteht ein riesiges Potenzial und im Optimalfall sollte dieses auch mit einem deutlichen Mehrwert für unser Gesundheitssystem ausgeschöpft werden. Rückblickend scheint es zum derzeitigen Stand aber sinnvoll und wichtig, sich zuerst einmal darauf zu fokussieren, eine stabile, funktionsfähige Basis auf nationaler Ebene zu schaffen, diese flächendeckend auszurollen und dann mit Bedacht auszubauen. Die Einführung der eGK-Stecklösung ist somit ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Wenig praktikable Lösung für Hilfsmittel-Leistungserbringer
Für Hilfsmittel-Leistungserbringer ist die eGK-Stecklösung in Zukunft vermutlich keine praxistaugliche Option. Ähnlich wie Versandapotheken, betreiben sie meist keinen stationären Handel. Sanitätshäuser könnten eventuell weniger betroffen sein, denkt man aber beispielsweise an Homecare- und Medizintechnikunternehmen oder Wundversorger, dann arbeiten diese hauptsächlich im Außendienst bzw. direkt vor Ort beim Patienten. Denkbar wäre hier eine Lösung durch mobile Kartenlesegeräte, die aber endlich Klarheit in Sachen elektronischer Heilberufsausweis für Leistungserbringer voraussetzen würde, was wiederum Fragen bezüglich der Zugriffsberechtigungen aufwerfen wird. Der Erklärungsbedarf in der Branche ist und bleibt vorerst hoch. Auf der Messe und Kongress für die digitale Gesundheitsversorgung, DMEA, ließ Hannes Neumann schon durchblicken, dass die aktuell noch bestehende Timeline für sonstige Leistungserbringer – mit der verpflichtenden Nutzung des E-Rezepts ab 2026 – wohl nicht eingehalten werden kann. Der Zeitplan sei gerade auf dem Prüfstand. Man wolle in der Hinsicht aber im Laufe des Jahres Klarheit schaffen. Auch die Frage der elektronischen Heilberufsausweise für sonstige Leistungserbringer sei noch zu klären. Positiv ist zumindest schon einmal, dass z. B. Wundversorgungen oder Versorgungen mit enteraler Ernährung, die bisher noch nicht E-Rezept-fähig sind, dies auch so lange bleiben, bis die elektronische Verordnung für Hilfsmittel umgesetzt wird und die entsprechenden Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind. Man trenne aus wettbewerbsrechtlichen Gründen klar zwischen Arznei- und Hilfsmitteln und Verbandmitteln. Was zuerst wie ein Rückschlag klingt, kann für unsere Branche auch eine Chance bedeuten. Eine neue Timeline gibt Zeit. Zeit zu beobachten, sich einzubringen und eine praktikable, anwenderfreundliche Lösung für Patienten und Versorger aktiv mitzugestalten.
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